Die Rede unseres Fraktionsvorsitzenden Daniel Gaittet im Wortlaut, gehalten bei der Stadtratssitzung am 14. Dezember 2023
Liebe Anwesende, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich fange mal so an: Ich möchte mich bei der Oberbürgermeisterin bedanken, einmal für Ihre klare Haltung bei der Solidarität mit Odessa und der Ukraine und bei Ihrer klaren Haltung, bei der Solidarität mit Israel und den jüdischen Menschen in unserer Stadt. Sie sprechen hier in unserem Namen für uns und wir fühlen uns gut vertreten und wir stehen hinter Ihnen.
Ich möchte mich auch bedanken beim Herrn Barfuß für seinen Humor, seine Geduld, die er mit mir hat, die er mit uns hat und für das, was er vorgeschlagen hat, weil ich daran anknüpfen möchte. Wir haben uns nicht abgesprochen, auch wenn es vielleicht den Eindruck machen wird.
Sie gestatten mir aber trotzdem, dass ich ein bisschen persönlicher einsteige. Das letzte Jahr war nicht so einfach und es war auch für mich nicht so einfach. Und in der Schwierigkeit ist mir noch mal klargeworden, wie wenig selbstverständlich es eigentlich ist, dass ich heute hier stehe und zu euch sprechen darf, weil ich spreche, wie ich spreche und weil ich ausschaue, wie ich ausschaue. Ist euch das häufig vielleicht gar nicht so sehr bewusst, wie es mir bewusst wird, wenn ich der Einzige bin, dessen Name bei der Begrüßung falsch ausgesprochen wird? Ich möchte die Gelegenheit nutzen, dass ich heute hier stehe und einmal aussprechen, dass ich dankbar bin, dass ich diese Möglichkeit habe und wie besonders das für mich und meine Familie ist. In einer Stadt, in der fast jeder dritte Mensch unsere Geschichte teilt, aber die Mitglieder des Stadtrats mit einer vergleichbaren Geschichte, die hier das Wort ergreifen dürfen, die hier mit abstimmen können, sich an einer Hand abzählen lassen.
Und jetzt stehe ich hier und halte eine Haushaltsrede. Und ich könnt’s mir so einfach machen. Die Erzählung ist längst gesetzt: Die Koalition hat keine Ideen, die Koalition hat keine Kraft. Die Koalition ist zerstritten, die Koalition kann keine Prioritäten setzen. Etwas Lob hier, etwas Kritik da, Danke hier, Danke da, erholsame Feiertage, guten Rutsch!, mit der Fahrradpumpe aufgeblasen auf 15 Minuten.
Es stimmt, die Koalition macht es der Opposition wirklich einfach, eine Haushaltsrede zu schreiben. Aber ich will es mir nicht einfach machen. Ich will es meiner Fraktion nicht einfach machen und ich will es euch nicht einfach machen. Ich nehme mich in die Pflicht, damit ich uns in die Pflicht nehmen kann.
Also machen wir es uns schwer:
Das Dilemma ist bekannt und schnell beschrieben, der Kollege hat es gemacht: Jahr für Jahr beschließt eine Mehrheit im Stadtrat ein Investitionsprogramm mit mehr Projekten, als wir tatsächlich abarbeiten können. Hier geht es erst mal überhaupt nicht ums Geld, sondern um die Kapazität unserer Verwaltung. Heute wird ein Investitionsprogramm für fünf Jahre beschlossen, mit Projekten beziffert auf 691 Millionen. Im Durchschnitt schaffen wir es pro Jahr aber nur, 111 Millionen auszugeben. Also in fünf Jahren 555 Millionen. Was, liebe Kolleg*innen, passiert mit der Differenz? Wer entscheidet, welche Projekte zu den 136 Millionen gehören, die wir in den nächsten fünf Jahren nicht ausgeben, also nicht umsetzen werden? Der Stadtrat ist es nicht. Durch unsere Überplanung im Investitionsprogramm geben wir als Stadtrat das Ruder zur politischen Steuerung aus der Hand und nehmen gleichzeitig Intransparenz gegenüber uns und der Öffentlichkeit in Kauf.
Doch damit nicht genug: Stellen wir uns unsere Verwaltung als kleines Gedankenexperiment mal als eine einzige Person vor, einen einzigen Mitarbeiter oder eine einzige Mitarbeiterin. Und diese Person sitzt an einem Tisch und hat bewiesen, dass sie es schafft, Projekte aus unserem Investitionsprogramm im Umfang von 111 Millionen abzuarbeiten, Jahr für Jahr über einen langen Zeitraum. Und wir knallen dieser Person Jahr für Jahr mehr Aufträge auf den Tisch, als sie nachweislich in einem Jahr abarbeiten kann. Und einmal im Jahr fragen wir dann im Personalgespräch, wie’s so läuft mit den Stunden und den Kapazitäten. Und was glaubt ihr, was wird die Antwort sein?
Es gibt eine Verbindung zwischen unserem strukturellen Problem im Investitionsprogramm und unserem strukturellen Problem im Haushalt. Doch damit nicht genug. Unsere Überplanung im Investitionsprogramm führt auch dazu, dass wir unsere Verwaltung nötigen, für die langfristige finanzielle Planung mit zwei Kategorien von Schulden zu arbeiten: Den Fantasieschulden zur Fantasieplanung, die Planschulden und die Ist-Schulden, orientiert an der Realität unserer Ausgaben.
Blöd nur, dass die Regierung der Oberpfalz bei der Genehmigung unseres Haushalts auf die Planschulden schaut und zum Glück haben wir Haushaltsreste, und zum Glück haben wir einen Nachtragshaushalt, weil die Regierung nimmt das, was wir hier beschließen, ernster als wir es selber tun.
Und woran liegt es, dass wir dieses Dilemma im Investitionsprogramm nicht in den Griff kriegen? Die Koalition kann keine Prioritäten setzen, das wäre die einfache Antwort. Zitat: „Die Wahrheit ist, dass allen Akteuren die politische Kraft fehlt.“ Was für ein Satz aus den Reihen der Koalition, so gefallen im Umweltausschuss. Was für eine Steilvorlage für die Opposition! Und wie einfach wäre es gewesen, auf diesem Satz eine Haushaltsrede aufzubauen! Und ich gestehe, ich habe darüber nach-gedacht. Aber ich habe mir auch die aufgeworfene Frage gestellt, ob ich die Kraft habe, die der Koalition fehlt. Ob meine Fraktion die Kraft hat, die der Koalition fehlt. Und die Antwort ist nein. Auch mir und meiner Fraktion fehlt die Kraft, und ich kann euch auch erklären, warum.
Solange wir uns hier als Koalition und Opposition gegenübersitzen, steht immer schon jemand bereit, der die in die Pfanne hauen muss, die diese schwierige Entscheidung auf sich nehmen, also benennen und transparent machen, was die Differenz ist, benennen und transparent machen, welche Projekte zu den 136 Millionen gehören, die wir in den nächsten fünf Jahren nicht ausgeben, also nicht umsetzen werden. Und das Problem: Diese 136 Millionen ist so groß, dass die Pfanne so groß ist, dass niemand von uns das politisch durchhält, vollkommen egal, wer von uns gerade in einer Koalition und wer von uns gerade in der Opposition sitzt, und das wird sich regelmäßig ändern.
Aber ich glaube an uns! Ich glaube daran, dass die demokratischen Fraktionen in diesem Stadtrat zusammen die Kraft haben, unser strukturelles Problem im Investitionsprogramm und unser strukturelles Problem im Haushalt gemeinsam zu lösen. Und wenn wir uns dafür in die Minoritenkirche sperren, bis weißer Rauch aufsteigt. Denn nur so kann es funktionieren: Wenn alle demokratischen Kräfte mit am Tisch sitzen, mitentscheiden, zu einer gemeinsamen Lösung für unsere Stadt kommen und niemand mit der Pfanne im Anschlag vor der Tür steht. Und das ist meine Bitte und mein Angebot an euch. Lasst uns das nächste Investitionsprogramm in einer Haushaltsklausur zusammen mit allen demokratischen Fraktionen erarbeiten und gemeinsam die Kraft für den Weg von der Fantasie zur Realität aufbringen! So wie uns das im Übrigen viele Kommunen in Bayern vormachen: Miteinander, gemeinsam, als Kollegialorgan, für unsere Stadt. Wir schaffen das!
Und so schaffen wir es dann auch aus der Tatsache, dass jede vierte Person, die aktuell für uns in der Verwaltung arbeitet und uns in den nächsten zehn Jahren aus Gründen des Alters verlassen wird, dass wir als Stadt aus dieser Herausforderung gestärkt und ohne strukturelles Defizit im Haushalt hervorgehen. Nämlich so, dass wir uns nicht um die richtige Einstellung für den Rasenmäher streiten, sondern gemeinsam entscheiden, wo und wie hoch das Gras wächst. Wir können das, die Zusammenarbeit zwischen den demokratischen Kräften in diesem Stadtrat kann gelingen! Das haben wir bei der Aussetzung der Sperrstunde und bei der Beschlussnachverfolgung und bei den vielen kleinen Lösungen, die wir abseits der großen Bühne gefunden haben, bewiesen. Und daran sollten wir anknüpfen!
Liebe Maria, liebe Anna, liebe Theresa, lieber Michael, lieber Hans, liebe Monir, liebe Wiebke!
In der Theorie wäre es die politische Aufgabe der Koalition gewesen, ein Investitionsprogramm vorzulegen, das vom Geld und von den Kapazitäten her passt. In der Theorie ist unsere Aufgabe, die Aufgabe meiner Fraktion, noch viel größer. Denn wir müssen nicht nur benennen und transparent machen, was keinen Platz mehr im Investitionsprogramm hat, sondern auch das, was dort fehlt, und zwar OHNE das Investitionsprogramm erneut zu planen. Und ich weiß, ich mache es euch dann nicht einfach. Aber ich glaube, dass wir das schaffen können. Als Fraktion haben wir in diesem Jahr Änderungsanträge zum Investitionsprogramm gestellt. Das ist unser Schritt in die Praxis, das ist unsere Art zu lernen. Was wir lernen müssen, das ist unser Weg, sich dieser Aufgabe anzunähern.
Liebe Kolleg*innen, es fehlt viel in diesem Investitionsprogramm, was die Zeit von uns verlangt. Wir haben in unseren Änderungsanträgen benannt, welche Parkhäuser wir uns nicht mehr leisten können, was wir konkret für weniger Stau in unserer Stadt unternehmen wollen, wo wir die Ladeinfrastruktur für elektrische Antriebe konkret ausbauen können, welche Türen wir dringend barrierefrei umbauen müssen und auf welche goldenen Wasserhähne wir verzichten können. Alle Änderungsanträge wurden abgelehnt.
Und ich sage es auch klar: Ja, unsere Änderungsanträge, das sind Kirschen, das sind die einfachen Anträge! Denn während unsere Flachdächer früher als bisher undicht werden im Wechsel von Starkregen und Hitze, während unsere Laufbahnen früher als bisher saniert werden müssen, weil die Witterung immer stärkere Anforderungen an das Material stellt, während die Ausbesserung der ersten Klimafolgeschäden durchaus im Investitionsprogramm zu entdecken sind, fehlen Mittel für die energetische Sanierung unserer Gebäude, fehlen Mittel für die Straßenbahn, fehlen Mittel für die Entwicklung unserer städtischen Tochterunternehmen, fehlen Mittel für einen angemessenen Beitrag zur Bekämpfung der Klimakatastrophe.
Und auch im Sozialen: Wir haben die Sanierung unserer Unterkünfte in der Aussiger Straße aufgegeben für Luftschlösser, in denen noch niemand wohnen kann. Und ich war immer für den Sportpark Ost, aber es kann doch nicht sein, dass wir den Sportpark im Rekordtempo fertigstellen und das Jugendzentrum in der Guerickestraße nebenan auch Jahre nach der Eröffnung brachliegen lassen. Wir setzen uns für die Ertüchtigung der Freifläche rund um das Jugendzentrum ein, weil es diese Flächen sind, auf denen sich junge Menschen begegnen, und wo in Zeiten der gesellschaftlichen Zuspitzung, die wir jetzt gerade erleben, Freundschaft und Zusammenhalt entstehen kann. Und ja, ich habe es der Oberbürgermeisterin vorhin auch schon gesagt: Ich bin gestern im Ausschuss über das Ziel hinausgeschossen, als wir darüber gesprochen haben, und dafür möchte ich mich entschuldigen. Ich hätte mir nur einfach gewünscht, dass in einem der drei Ausschüsse, wo wir das Jugendzentrum in der Guerickestraße thematisiert haben, in einer öffentlichen Sitzung eine Bürgermeisterin, ein Bürgermeister oder eine Oberbürgermeisterin aufsteht und sagt: Ja, da müssen wir noch was machen. Bitte ziehen Sie den Antrag zurück, ich kümmere mich.
Liebe Kolleg*innen!
Beim Klimaschutz und der Klimaanpassung, genau wie beim Sozialen geht es um unsere öffentliche Daseinsvorsorge. Darum müssen wir uns kümmern, dass es nicht nur ein Grünes Thema und das darf auch nicht nur Grüne Aufgabe sein. Das sind die Themen unserer Zeit, das ist unsere gemeinsame Aufgabe. Lassen Sie mich und meine Fraktion damit nicht allein, wenn wir nächstes Jahr wieder über das Investitionsprogramm sprechen. Und ich entschuldige mich hier auf offener Bühne und rede Klartext, weil hier zu stehen und zu euch zu sprechen nicht nur etwas Besonderes für mich ist, sondern auch Verantwortung. Mindestens die Verantwortung, sich so zu verhalten, wie ich erwarte, dass sich auch andere verhalten.
Ich finde, wir Mitglieder des Stadtrats, wir sollten auch Vorbilder sein für die Stadt und für die Menschen, die hier leben. Und ich glaube, dass das für einige hier im Raum bedeuten kann oder bedeuten muss, hin und wieder auch etwas weniger zu sagen oder den Ton anzupassen, und zu dieser Gruppe würde ich mich selbst auch zählen. Und für andere hier im Raum kann das bedeuten, ihre Meinung in der Sitzung auch mal laut auszusprechen, statt sie nach der Sitzung in ein Ohr zu flüstern.
Diese Gruppe möchte ich ermutigen, nicht allein Menschen wie mir die Bühne zu überlassen.
Ich bin dankbar, dass ich heute zu euch sprechen durfte und ich möchte mich auch im Namen meiner Fraktion bei allen bedanken, die mit mir, die mit uns in diesem Jahr zusammengearbeitet haben, im Stadtrat und in der Verwaltung. Ich wünsche euch und euren Familien erholsame Feiertage, Gesundheit und einen guten Start ins Neue Jahr!
Liebe Kolleg*innen, vielen Dank für die Aufmerksamkeit! Ich bin gespannt auf die nächsten Reden, ich bin gespannt, wer es sich heute und nächstes Jahr einfach macht.